„Japan kann ein Vorbild sein“

Interview mit Prof. Ikonnikova und Prof. Schreurs zur Energiekrise

Der Krieg in der Ukraine hat enorme Auswirkungen auf die deutsche Energiepolitik und -wirtschaft. Im Interview erklären die Ökonomin Prof. Svetlana Ikonnikova und die Politologin Prof. Miranda Schreurs, an wem sich Deutschland in der Krise orientieren kann, wie der Einsatz von Flüssigerdgas und Wasserstoff zusammenhängen und welche Rolle eine geplante Pipeline zwischen Russland und China spielt.

Der politische Druck steigt, den Import von Gas, Öl und Kohle aus Russland zu stoppen. Es scheint nahezu unmöglich, dass Deutschland dies kurzfristig verkraften könnte. Gibt es Vorbilder, die einen plötzlichen Ausfall großer Teile der Energieversorgung bewältigt haben?

Miranda Schreurs: Nach dem Reaktorunfall von Fukushima hat Japan 2011 aus Sicherheitsgründen zunächst sämtliche Atomkraftwerke heruntergefahren, die rund 30 Prozent der Stromversorgung des Landes ausmachten. Japan kann ein Vorbild sein, weil es in dieser Situation unglaublich gut geschafft hat, Energie zu sparen. Es gab nicht nur einen Appell an die Privathaushalte, sondern auch Anordnungen und kreative Lösungen für Unternehmen und die öffentliche Infrastruktur: Firmen haben ihre Produktion in Tageszeiten mit geringem Stromverbrauch verlegt, Angestellte bekamen Anreize, Vorschläge für Effizienzsteigerungen zu machen, die Geschwindigkeit des Zugverkehrs wurde leicht gedrosselt.

Alle haben angenommen, dass die 15 bis 20 Prozent des Stromverbrauchs, die so eingespart wurden, nur ein kurzfristiger Effekt sein würden, bis sich die Lage beruhigt hat. Aber Japan hat auch in den Folgejahren weiterhin rund 10 Prozent weniger verbraucht. Manche Maßnahmen wäre in Deutschland schwer umsetzbar, aber wir haben ja eigene Möglichkeiten, wie etwa ein Tempolimit auf Autobahnen. Genauso wichtig ist natürlich der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien.

Um zumindest einen Teil russischen Erdgases ersetzen zu können, will Deutschland LNG, also verflüssigtes Erdgas, importieren. Andere Länder setzen allerdings schon länger auf LNG. Kann Deutschland überhaupt größere Mengen beschaffen?

Svetlana Ikonnikova: Produktionskapazitäten sind weltweit in ausreichender Menge vorhanden, in den USA, in Australien, in mehreren afrikanischen Ländern, in Katar. Der größere Flaschenhals sind die Logistik und die Frage, ob es genügend Anlagen für die Verflüssigung und die Rückumwandlung gibt. Sprich, in welchem Zeitrahmen können wir dieses Gas in unsere Netze einspeisen, wenn wir es gekauft haben? Für die EU zeigt ein Modell, das wir am Center for Energy Markets der TUM errechnet haben, dass das russische Erdgas binnen sieben bis zehn Jahren ersetzt werden könnte, abhängig von der Dynamik des globalen Marktes – wobei Länder wie Frankreich und Spanien bereits deutlich weniger abhängig sind als Deutschland.

Die Bundesregierung hat angekündigt, Milliarden für LNG auszugeben. Investiert Deutschland damit in einen Energieträger, der eigentlich nur als Brückentechnologie für relativ wenige Jahre gedacht war?

Ikonnikova: Diese Frage wird sich am sogenannten blauen Wasserstoff, der mit der Spaltung von Erdgas gewonnen wird, entscheiden. Unser Modell prognostiziert, dass blauer Wasserstoff bis 2050 eine wichtige Rolle in der Industrieproduktion und als Energiespeicher spielen wird. Zum einen, weil er längere Zeit günstiger sein wird als grüner Wasserstoff, der mit Elektrolyse aus Wasser erzeugt wird, betrieben von erneuerbaren Energien. Zum anderen, weil für den grünen Wasserstoff die Infrastruktur und Logistik größtenteils erst noch aufgebaut werden muss. Auch hier wird Deutschland nicht um Importe herumkommen, wenn es Wasserstoff in großem Maßstab einsetzen will. Aber die Voraussetzungen sind gegeben, unter anderem weil Wasserstoff beispielsweise in Form von Ammoniak gespeichert werden kann, bei dem wir Erfahrung beim Transport haben.

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Quelle: https://www.sonnenseite.com