Tagung auf der Insel Mainau betont Dringlichkeit und Möglichkeiten zum Abschied von fossilen Energien – Referenten vermitteln knapp 200 Teilnehmern Knowhow und Inspiration
Die Zeit drängt in der Energie- und Wärmewende. Viele positive und motivierende Beispiele dafür, wie sie gelingen kann, zeigte die jüngste Tagung „Energiesysteme im Wandel – Chancen für die Region“ auf der Insel Mainau. „Wir haben viel Zeit verloren und müssen uns jetzt sputen. Aber: Wir stehen vor einer lösbaren Aufgabe.“ Das waren die zentralen Aussagen der Referenten aus Wissenschaft, Wirtschaft, (Kommunal-)Verwaltung und Landwirtschaft.
Bodensee-Stiftung, Insel Mainau GmbH, Landesforstverwaltung Baden-Württemberg und Solarcomplex AG hatten zur 22. Veranstaltung „Energiesysteme im Wandel“ eingeladen. Die Tradition der Tagung zeigt das langjährige Drängen der Veranstalter, Alternativen zu fossilen Energiequellen zu nutzen. „Nicht Habeck und nicht Kretschmann machen die Energiewende, sondern wir“, stellte Jörg Dürr-Pucher, Präsident der Bodensee-Stiftung, in der Begrüßung mit Blick auf die knapp 200 Teilnehmer aus Bürgerschaft, Initiativen und Unternehmen, von Stadtwerken und Kommunalverwaltungen heraus. Bene Müller, Vorstand der Solarcomplex AG, zeigte unter anderem mit Verweis auf Effizienzsteigerungen von Solar- und Windkraftanlagen in den vergangenen Jahren, dass die Energiewende zu schaffen ist, insistierte aber auch darauf, nun keine Zeit mehr zu vergeuden.
Daniel Ette, Leiter Nachhaltigkeit und Energie von der gastgebenden Insel Mainau, lud in seinem Grußwort dazu ein, gemeinsame Wege für das Vorantreiben von Klimaschutz und Energiewende zu suchen und er verwies auf die Mainau Declaration on Climate Change, die 2015 auf der Insel Mainau von Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträgern unterzeichnet wurde: „Sie erinnert uns daran, dass der Schutz unserer Umwelt eine ethische Verpflichtung ist, und sie mahnt uns: Untätigkeit würde bedeuten, dass wir künftige Generationen der Menschheit einem unzumutbaren Risiko aussetzen.“ Dr. Anja Peck, Leiterin der Forstdirektion am Regierungspräsidium Freiburg, betonte den Stellenwert regionaler, kreativer Ansätze. Sie lud die Teilnehmer dazu ein, voneinander zu lernen und Hand in Hand zusammenzuarbeiten. „Wenn jeder zwei Anregungen aus der Veranstaltung mitnimmt und umsetzt, haben wir viel erreicht“, so Dr. Anja Peck.
Anregungen gab es bei der Tagung viele – von Beispielen für die Nutzung von Energie aus dem Bodensee, über PV-Anlagen in der Landwirtschaft, den Möglichkeiten von Wärmepumpen, der Wirkung von Bürgerengagement bis zur energieautonomen Gemeinde. Dr. Volker Kienzlen, Geschäftsführer der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg GmbH, erläuterte mit konkreten Beispielen Kriterien für das Gelingen kommunaler Wärmeplanung. Einen Blick über die Grenze vermittelte Stephan Peterhans von der Fachvereinigung Wärmepumpen Schweiz: 90 Prozent aller Neubauten werden im Nachbarland mit Wärmepumpen ausgestattet, die Akzeptanz sei bereits seit 20 Jahren hoch.
Erneuerbare Energien schaffen Win-Win-Situationen
In nahezu allen Vorträgen wurde deutlich: Zur zeitnahen Umsetzung der Energie- und Wärmewende ist ein Mix alternativer Energiequellen nötig. Und: Erneuerbare Energien schaffen Win-Win-Situationen. So gab Erwin Karg, Bürgermeister der oberbayerischen Gemeinde Fuchstal, Einblicke in die Wertschöpfung seiner Kommune durch Strom aus Sonne, Wind und Biogas. Mit humoristischen Einlagen machte er den kreativen Umgang mit Widerständen und Hindernissen anschaulich – und das Resultat, das sich heute nicht nur in finanzieller Hinsicht für Bürger und Kommune auszahlt. „Man muss einfach Bock haben“, rief er der Kommunalpolitik und -verwaltung zu. Seine Gemeinde stehe nun vor dem realistischen Ziel, bis 2024 zum Energie-Selbstversorger sowohl im Strom- als auch im Wärmesektor zu werden.
Hartnäckigkeit und persönliches Engagement zeigten auch Christoph Hönig und Wulf Dullenkopf von der EZO Werbegemeinschaft 08-Eier aus Baden-Württemberg e.V.. Die Hühnerhaltungsbetriebe haben sich erfolgreich für die Überarbeitung einer europaweiten Regelung eingesetzt, nach der Eier von Tieren, die unter Agri-PV-Anlagen Auslauf haben, nicht als Eier aus Freilandhaltung gekennzeichnet werden durften. Dabei biete die Photovoltaik-Anlage zahlreiche Vorteile: Für die Hühner als frühere Waldrandbewohner Schatten und den Schutz vor Greifvögeln, für die Betriebe eine zusätzliche Wertschöpfungsquelle, für die Energiewende einen weiteren Baustein, ohne Freiflächen mit PV-Anlagen überbauen zu müssen.
Rahmenbedingungen zum Teil zum Haareraufen
Ähnliche Vorteile zeigten Referenten aus dem Obstbau auf. So schütze Agri-PV beispielsweise Äpfel vor Sonnenbrand sowie Hagel und helfe Obsterzeugern, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, da durch weniger Feuchtigkeit auf den Blättern weniger Pilzerkrankungen zu befürchten seien. „Zum Haareraufen“ sei allerdings, dass die Forschungsbemühungen hierzu lange Jahre nicht gefördert worden seien.
Zum Haareraufen empfinden auch Stefan Friedrich, Bürgermeister der Gemeinde Allensbach, und Stefan Werner von der Lokalen Agenda 21 Allensbach, mancherlei Hindernisse auf dem Weg zur Energiewende, zum Beispiel die Hemmnisse, die sich ihnen im Genehmigungsverfahren einer PV-Anlage auf einem Lärmschutzwall an der B33 auftaten. Die Maßnahme, die sowohl dem Klima als auch dem Gemeindehaushalt zugutekommen soll, sei nun zum Präzedenzfall geworden.
„Es braucht Menschen, die nicht auf Veränderungen warten“
Für einen effektiven Klimaschutz brauche es veränderte Strukturen, hatte Dr. Maike Sippel, Professorin für nachhaltige Ökonomie an der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG), in ihrem Vortrag „Zwölf Gedanken, um die Welt zu verändern“ zur Eröffnung der Tagung festgestellt. Die Professorin hatte ergänzt: „Und es braucht Menschen, die nicht warten, bis diese Veränderung passiert.“ Die Insel Mainau war während der Tagung zu einem Treffpunkt dieser Menschen geworden.
Die Veranstaltung wird im kommenden Jahr am 19. und 20. September stattfinden. Weitere Informationen dazu sowie die Präsentationen der jüngsten Veranstaltung werden auf der Website www.bioenergie-region-bodensee.de veröffentlicht.
Die Bodensee-Stiftung
ist eine private Umwelt- und Naturschutzorganisation, die sich projektorientiert für mehr Nachhaltigkeit und Naturschutz einsetzt – regional, national und international. Sie ist aktiv in den vier Handlungsfeldern Energiewende, Landwirtschaft & Lebensmittel, Natur- & Gewässerschutz sowie Unternehmen & biologische Vielfalt und arbeitet eng mit Akteuren aus Wirtschaft, Fachverwaltungen, Kommunen, Politik und weiteren Interessenvertretungen zusammen. Die Bodensee-Stiftung wurde 1994 gegründet, ihr Sitz ist in Radolfzell am Bodensee.