100 % Erneuerbare Energien, für Strom und Wärme in Deutschland, ist auf Sicht von 15 Jahren möglich, wenn wir den Ausbau von Windkraft und Solarenergie beschleunigen. Dazu muss auch die Bodenseeregion bereit sein, neue Flächen für Photovoltaik zu erschließen! Die konsequente Nutzung überbauter aber auch landwirtschaftlich genutzter Flächen wird notwendig, damit uns das gelingt.
Interview mit Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin.
- Frau Kemfert, ist es möglich, den gesamten Energiebedarf Deutschlands zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken?
Ja, es ist technisch möglich, ökonomisch effizient und es ist auch in kürzester Zeit machbar. Wichtig ist aber, dass man den Ausbau der erneuerbaren Energien forciert und schon heute alles auf eine Vollversorgung ausrichtet, indem man die Rahmenbedingungen so anpasst, dass ein systemrelevanter Ausbau möglich wird. - Wie ließe sich dieses Ziel erreichen?
Das Ausbautempo muss stark gesteigert werden, sowohl bei der Windenergie als auch bei der Solarenergie. Für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien müssen wir die Rahmenbedingungen für alle Sektoren schaffen, nicht nur für Strom, sondern auch für Wärme und Mobilität. - In welcher Zeit wäre der Umbau auf eine Vollversorgung durch Erneuerbare zu schaffen?
Man kann sehr schnell sein, wenn man die erneuerbaren Energien möglichst zeitnah zubaut. Ganz sicher ist es möglich, eine Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030 zu erreichen. Eine Vollversorgung inklusive Sektorenkopplung mit erneuerbaren Energien und inklusive Speicherung halten wir bis 2040 für realistisch. - Muss man bei 100 Prozent erneuerbaren Energien Abstriche bei der Versorgungssicherheit in Kauf nehmen?
Nein, die Versorgungssicherheit wäre auch dann jederzeit gewährleistet, das zeigen unsere Simulationen. Das Energiesystem ändert sich aber von Grund auf: Wo wir in der Vergangenheit Kraftwerke hatten, die sozusagen Top-down Strom und Energie produzieren und zum Endkunden liefern, ist ein System aus erneuerbaren Energien Bottom-up, also dezentraler, flexibler und auch intelligenter. Die erneuerbaren Energien funktionieren hier wie Teamplayer und müssen klug aufeinander abgestimmt werden. Mittels Digitalisierung muss ein intelligentes Energie- und Lastmanagement möglich werden. Perspektivisch braucht das Energiesystem auch mehr Speicheroptionen sowie Flexibilitätsoptionen wie Nachfragereaktion und Echtzeitpreise, dann ist ein solches System versorgungssicher. - Welche Regionen Deutschlands haben das größte Potenzial für erneuerbare Energien?
Potenziale für erneuerbare Energien haben tatsächlich alle Regionen. Im Moment dominiert im Norden vor allem die Windenergie, im Süden fokussiert man sich mehr auf Solarenergie, insbesondere in Bayern. Was aber unsere Studie sehr deutlich zeigt, ist, dass die Potenziale für erneuerbare Energien, inklusive Wind, Solar, Biomasse und anderen Komponenten, in allen Regionen vorhanden sind und dass das Energiesystem darauf ausgerichtet werden muss. Wir brauchen einen dezentralen Ausbau aller erneuerbaren Energien, auch im Süden Deutschlands. Daran hapert es im Moment. Deswegen muss man diese Potenziale auch sehr viel besser als bisher erschließen. - Wie sollte der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien koordiniert werden? Auf Landesebene, auf Bundesebene oder auf EU-Ebene?
Man braucht alle Ebenen. Die EU gibt übergeordnete Vorgaben zur Erreichung der Klimaziele und Ausbauziele erneuerbarer Energie. Die Bundesebene gibt ebenfalls Ausbauziele für die erneuerbaren Energien vor und da müssen, zum Beispiel im Rahmen der Ausschreibungen, Anpassungen vorgenommen werden. Auch auf Landesebene brauchen wir Anpassungen, beispielsweise was die Ausweisung von Flächen angeht oder die Möglichkeiten, Solarenergie dezentral auf möglichst vielen Dächern zu nutzen. Es handelt sich hier also um ein Zusammenspiel verschiedener Ebenen. Die Bundesebene setzt die übergeordneten Rahmenbedingungen und die Landesebene die Umsetzung sowie Anpassungen zur Erreichung der Ausbauziele.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Quelle: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.821872.de/21-29-2.pdf
Das vollständige Interview zum Anhören finden Sie auf www.diw.de/interview