Demonstrationsprojekt „SoLAR“ in Allensbach
Erfolgreiche Energiewende
durch intelligente Sektorkopplung
Stefan Werner, Easy Smart Grid GmbH
Projektkoordinator im Auftrag des ISC Konstanz
Zusammenfassung
Das Projekt SoLAR in Allensbach am Bodensee demonstriert die Möglichkeiten intelligenter Sektorkopplung. Durch ein Echtzeit-Preissystem auf der Basis von Netzzustandsgrößen können flexible Geräte jeder Art, Leistung und Verfügbarkeit als „virtuelle Batterien“ eingesetzt werden. Der Ansatz löst damit das Hauptproblem der Energiewende: die nicht an herkömmliche Verbrauchsprofile angepasste und volatile Verfügbarkeit erneuerbarer Energien. Die Kosten für Energiespeicherung und Netzausbau werden minimiert bei gleichzeitiger hoher Verfügbarkeit und Sicherheit und geringer Komplexität des Systems.
Das Projekt ging aus einer Initiative engagierter Bürger hervor und wird von renommierten Forschungsinstituten und Unternehmen getragen. Die Demonstration erfolgt in einer neu errichteten Liegenschaft mit 22 Wohneinheiten in 12 Doppelhaushälften und 2 Mehrfamilienhäusern sowie einem Bestandsgebäude mit 3 Wohneinheiten. Gesteuert werden ein BHKW, 12 Wärmepumpen, diverse Haushaltsgeräte, Ladestationen für Elektrofahrzeuge und Batteriespeicher. Ziel in der Liegenschaft ist die Steigerung der Eigenverbrauchsrate des Stroms aus BHKW und lokalen PV-Anlagen von etwa 50% auf über 80%.
Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass das gesteckte Ziel erreichbar ist. In einer nachfolgenden Demonstration mit dem Stadtwerk Haßfurt soll anschließend gezeigt werden, dass das System auf ein ganzes Verteilnetz anwendbar und wirtschaftlich ist. In diesem Zusammenhang soll auch ein neues dynamisches Tarifsystem vorgeschlagen werden, dass intelligente Sektorkopplung generell ermöglicht und einen maximalen volks- und betriebswirtschaftlichen Nutzen ermöglicht. Damit wird der Regulierungsvorgabe der EU entsprochen.
Kurzbericht
Das Projekt „SoLAR“ (Smart Grid ohne Lastgangmessung Allensbach – Radolfzell) wurde durch engagierte Bürger der Lokalen Agenda 21 in Allensbach initiiert und wird für den Zeitraum 2018 bis 2021 durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft des Landes Baden-Württemberg im Rahmen des Förderprogramms „BWPLUS“ gefördert.
Vorausgegangen war eine Klimaschutzrichtlinie der Gemeinde von 2006, in der sich die Gemeinde das Ziel setzte, bis 2050 klimaneutral zu sein. Mit Geldern aus dem Wettbewerb „Klimaneutrale Kommune“ wurden dazu seit 2010 vielfältige Untersuchungen vorgenommen, u.a. eine Studie zur Sektorkopplung Strom-Wärme, die zeigte, dass durch die Kopplung von BHKW und Wärmepumpen Strom in der Menge von 80% des konventionellen Bedarfs aus Photovoltaik und Windkraft erzeugt und lokal im Netz aufgenommen werden kann.
2016 entwickelte die Lokale Agenda aus der Studie ein Konzept („Klimaplan“), wie der Ort weitgehend mit erneuerbaren Energien versorgt werden könnte, wenn alle Sektoren, Strom, Wärme und Verkehr weitgehend elektrifiziert und intelligent miteinander gekoppelt werden. Die Gemeinde engagierte sich beim SINTEG Projekt C/Sells und wurde als „Partizipationszelle“ in die soziologischen Untersuchungen von C/Sells eingebunden [1]. Die Einbindung der Bevölkerung ist eine wichtige Komponente des Projektes.
Abbildung 1 zeigt die geschätzten erforderlichen Installationsleistungen der verschiedenen Energieanlagen in Allensbach, die unter Nutzung von Erdgas für BHKW und geeigneten Dämmmaßnahmen im Gebäudebestand zu einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 75% gegenüber der Referenz 2002 führen würden.
Für eine wirtschaftliche Umsetzung der Energiewende war die Prämisse des Konzeptes, weitgehend auf Batteriespeicher und Netzausbau verzichten zu können. Notwendig ist dazu die intelligente Steuerung der Geräte und Anlagen auf Basis des Angebotes an erneuerbaren Energien in Echtzeit. In der Projektantragsphase wurde dazu die patentierte Technologie zum dezentralen Energiemanagement der Easy Smart Grid GmbH (ESG) [2] als geeigneter Ansatz identifiziert. Im Laufe des Projektes wurde die ursprünglich für Inselnetze konzipierte Technologie auf Anwendungen im kontinentaleuropäischen Netz angepasst und weiterentwickelt.
Abbildung 1: Klimaplan der Lokalen Agenda 21 und Klimaaktivitäten der Gemeinde Allensbach
Abbildung 2 zeigt ein typisches Bedarfsprofil flexibler Geräte für europäische Haushalte [3] und die mögliche Anpassung an ein typisches Angebot erneuerbarer Energien durch dezentrales Energiemanagement. Die Flexibilität der Geräte ist abhängig vom verfügbaren Speicher, z.B. in Form von Kälte in Kühlgeräten, und der Nutzungsflexibilität, z.B. der Bereitschaft der Nutzer, beim Aktivieren eines Geschirrspülers dem Gerät durch Zeitvorwahl einen längeren Zeitraum bis zur Entnahme des Geschirrs zur Verfügung zu stellen, innerhalb dessen der Spülprozess flexibel verschoben werden kann. Das Beispiel zeigt eine mögliche Bedarfsverlagerung zur Nutzung erneuerbarer Energien unter Berücksichtigung typischer Restriktionen.
Abbildung 2: typisches Bedarfsprofil und Flexibilitätspotential Haushaltsgeräte
Der dargestellte Effekt ist von der Wirkung her identisch zur Aufnahme überschüssiger elektrischer Energie in einer Batterie und Abgabe an Geräte mit normalem Bedarfsprofil. Durch intelligente Steuerung der Geräte werden also kostengünstige „virtuelle Batterien“ erzeugt. Nach einer internen Schätzung von ESG können perspektivisch 50% des Energieverbrauchs elektrischer Geräte und Anlagen in Haushalt, Gewerbe und Industrie mit virtuellen Batterien der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien angepasst werden.
Durch die Sektorenkopplung steht zukünftig ein noch deutlich größeres Flexibilisierungspotential durch intelligent gesteuerte BHKW, Wärmepumpen und Ladevorgänge für Elektrofahrzeuge zur Verfügung, wie Abbildung 3 in Anlehnung u.a. an [4] illustriert. Während der Stromverbrauch sich durch die Sektorkopplung deutlich erhöhen wird, stellt sie gleichzeitig ein Flexibilitätspotential von geschätzt 80% des zukünftigen Stromverbrauchs zur Verfügung. Wärmepumpen, BHKW und Elektrofahrzeuge bieten gleichzeitig ein hohes Effizienzpotential, das den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien begrenzt.
„Dunkelflauten“ werden im Allensbacher Konzept mit BHKW überbrückt. Die zukünftig notwendige saisonale Speicherung erneuerbarer Energie kann durch den Ersatz von Erdgas durch Wasserstoff bzw. regenerativ erzeugtes Methan geleistet werden.
Die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit intelligenter Sektorkopplung soll in SoLAR demonstriert werden. Dazu konnte die Kaufmann GmbH, Oberstadion, als Eigentümer und Generalunternehmer eines klimafreundlichen Wohnprojektes [5] in Allensbach gewonnen werden. Kaufmann errichtet dort 12 Doppelhaushälften (DHH) und 2 Mehrfamilienhäuser (MFH) mit insgesamt 22 Wohneinheiten in KfW 40 Holzbauweise.
Abbildung 3: Hohe Effizienz und Flexibilität durch intelligente Sektorkopplung
Abbildung 4 zeigt die Liegenschaft und eine Übersicht der wichtigsten Projektpartner. Für die wissenschaftliche Begleitung der Umsetzung wurden das International Solar Energy Research Center (ISC) Konstanz und das European Institute for Energy Research (EIfER) aus Karlsruhe gewonnen. In der Liegenschaft wird ein privates Stromnetz als Kundenanlage installiert, das von der Energiedienst AG in Rheinfelden als wettbewerblicher Betreiber für intelligente Messstellen (iMSB) und Energieversorger betrieben wird. Die DHH verfügen jeweils über eine eigene PV-Anlage und ggf. einen Batteriespeicher (KfW 40+). Auf den MFH sind PV-Anlagen durch Energiedienst installiert. Die PV-Leistung beträgt insgesamt etwa 80 kWp.
Abbildung 4: Demonstrationsliegenschaft und Projektpartner
Abbildung 5 zeigt einen Schnitt durch das Kellergeschoss der Liegenschaft mit einer verbindenden Tiefgarage. Gelb markiert sind die 12 DHH, die jeweils durch eine eigene Wärmepumpe versorgt werden. Wärme aus Grundwasser wird über eine Sole-Ringleitung verteilt, die auch zum Kühlen der Gebäude genutzt werden kann. Die 2 MFH und ein Bestandsgebäude werden über ein zentrales BHKW von Energiedienst mit 21 kW elektrischer Leistung mit Wärme versorgt. Die Wärmeerzeuger werden intelligent gesteuert, zusammen mit Ladepunkten für Elektrofahrzeuge, Haushaltsgeräten in allen Wohnungen sowie Batteriespeichern in einigen DHH. Insgesamt werden so bis zu 100 Geräte in der Liegenschaft koordiniert. Ziel ist die Erhöhung der Eigenverbrauchsrate der vor Ort erzeugten elektrischen Energie von 50% auf über 80%.
Abbildung 5: Schnitt durch das Kellergeschoss der Demonstrations-Liegenschaft
Das Prinzip der intelligenten Steuerung der Geräte durch ESG zeigt schematisch Abbildung 6. Basis der Technologie ist die Ableitung eines Preissignals in Echtzeit, idealerweise jede Sekunde, aus dem Netzzustand. Das Signal (Balance Indicator, BI) zeigt in einem normierten Wertebereich zwischen -1 und +1 an, ob tendenziell Energieüberschuss (niedriger Preis) oder -mangel (hoher Preis) herrscht. Je nach Nutzungs- bzw. Geschäftsmodell werden andere Werte gemessen. Die Energiebilanz eines Inselnetzes kann an jedem Ort im Netz direkt aus der Frequenz ermittelt und in einen BI umgesetzt werden. Im Fall der SoLAR-Liegenschaft handelt es sich um eine gekoppelte Netzzelle, deren Energiebilanz als Leistungswert am Anschluss der Kundenanlage zum Netz der öffentlichen Versorgung gemessen werden kann.
Ergänzend zur Leistungsbilanz können auch Engpässe im Netz direkt aus der Spannung am Netzanschluss oder aus der Strombelastung einer Netzeinheit, z.B. an einem Abgang eines Ortsnetztransformators (ONT), in ein Preissignal (Congestion Indicator, CI) zwischen -1 und +1 umgewandelt werden. Sind mehrere Netzzustände relevant, werden die unterschiedlichen Preissignale zu einem Signal geeignet zusammengeführt.
Abbildung 6: Prinzip der dezentralen Gerätesteuerung durch Preissignale aus Netzzuständen
Im Zielszenario wird das Preissignal direkt im Smart Meter aus Messungen gebildet (BI Generator) bzw. von Extern empfangen und an die flexiblen Geräte weitergeleitet. Die Bildungsvorschrift für das Preissignal kann cybersicher durch einen plombierten Softwarestecker vorgegeben werden
Die Steuerungen der flexiblen Geräte reagieren völlig autonom auf das Preissignal, indem sie, in Abhängigkeit ihrer aktuell verfügbaren Flexibilität, zu wirtschaftlich optimalen Zeiten in Betrieb gehen. Eine Datenübermittlung an zentrale Steuerungen ist nicht notwendig. Der Rückkanal wird direkt aus der Reaktion des Netzes auf die Schalthandlungen der Geräte gebildet.
Da lediglich das Preissignal an die Geräte übermittelt wird (ca. 1 Byte/sec) und die Algorithmen sehr einfach gehalten werden können, können zur Steuerung direkt die vorhandenen Gerätecontroller genutzt werden. Zum Abschluss des Projektes werden die Hersteller der Wärmepumpen (Weider, Hard in Österreich) und des BHKW (Energiewerkstatt, Hannover) die optimierten Algorithmen direkt in ihre Steuerungen übernehmen.
Im Fall von SoLAR wird das Preissignal nicht direkt in einen Tarifpreis umgesetzt, sondern nur zur Optimierung genutzt. Zukünftige dynamische Tarife könnten das Signal direkt in einen Strompreis oder ein Netzentgelt umrechnen, indem das Preissignal mit einem fixen „Flexibilitätsbonus“ multipliziert und als Bonus bzw. Malus von einem fixen Basispreis subtrahiert wird. Die Werte können im Smart Meter gespeichert und nach einer Abrechnungsperiode als Mittelwert oder Zuordnung von Arbeit zu verschiedenen Tarifstufen ausgegeben werden.
Abbildung 7 und 8 zeigen den Effekt des Preissignals aus der Leistungsbilanz am Liegenschaftsanschluss auf das Verhalten der Wärmeerzeuger in der Liegenschaft. Dargestellt sind jeweils 2 Tage. Sie basieren auf Simulationen mit dem „Virtuellen Demonstrator“, einem digitalen Zwilling der Liegenschaft, der vom EIFER in das Projekt eingebracht wird, und die Liegenschaft mit allen Geräten realitätsnah im Sekundentakt virtuell nachstellt. Im Laufe des Jahres 2021 werden die Berechnungen in der Realliegenschaft verifiziert.
Abbildung 7: Reaktion von BHKW und Wärmepumpen auf das Preissignal, Szenario Sommer
Links ist jeweils das Verhalten bei rein wärmegeführter Steuerung über einen 2-Punkt-Regler anhand der Temperatur am Pufferspeicher dargestellt, rechts das Verhalten bei Empfang und Auswertung des Preissignals (Balance Indicator). Im Sommer-Szenario (nur Warmwasserbereitstellung) ist deutlich zu erkennen, dass die Wärmepumpen ihre Betriebszeiten zu den Zeiten maximaler PV-Leistung verschieben. Dabei lernen sie die zu erwartenden Preisbereiche, in denen eine Aktivierung lohnt. Geräte, deren Pufferspeicher weniger gefüllt sind, reagieren aufgrund ihrer geringeren Flexibilität als Erste. Durch das Echtzeitsystem wird gleichzeitig Regelenergie zur Verfügung gestellt: Bricht die Leistungsbilanz ein, z.B. durch Wolkenzug, schalten die Wärmepumpen sofort aus, wenn es ihre Betriebsparameter (z.B. Mindestlaufzeit) erlauben. Das BHKW hat seinen Betriebsbereich auf die Abendstunden mit dem höchsten Leistungsbedarf verlegt und drosselt die Leistung, so dass es jeden Tag einmal zu Zeiten mit maximalem Ertrag (niedrigster BI, höchster Preis) in Betrieb geht.
Abbildung 8: Reaktion von BHKW und Wärmepumpen auf das Preissignal, Szenario Winter
Da die Wärmeerzeuger im Sommer wenig in Anspruch genommen werden, ist die netzstabilisierende Wirkung sichtbar, aber nicht maximal. Im Winter ist die Laufzeit durch den zusätzlichen Heizenergiebedarf deutlich länger und die netzstabilisierende Wirkung des intelligenten Betriebs entsprechend hoch. Die hohe Nachfrage der Wärmepumpen nach Strom und das große Angebot des BHKW führen im Zusammenspiel zu einem stabilen „Preis“, der sich in einer gleichmäßigen Netzbelastung abbildet. Der BI ist nahe dem Zielwert 0, was einer Quasiautarkie entspricht. Wären die unterschiedlichen Wärmekreise gekoppelt, wäre der BI durch das flexible Zusammenspiel der Wärmeerzeuger noch gleichmäßiger und näher am Zielwert.
Abbildung 9 zeigt die Steuerung von Geräten im Rahmen von SoLAR, die mit herkömmlichen Energiemanagementsystemen auf der Basis von Fahrplänen und Aggregatoren nicht möglich wäre: Kühl- und Gefriergeräte sind zwar prinzipiell flexibel, haben im Normalfall aber eine so geringe Energiespeicherkapazität und damit zeitliche Flexibilität, dass die Teilnahme an Strommärkten nicht möglich ist. Innerhalb eines Echtzeitpreissystems können sie aber durchaus einen wertvollen Beitrag zur Netzstabilisierung leisten. Im Rahmen von SoLAR stellt die BSH Hausgeräte GmbH deshalb jedem Haushalt kostenlos ein Kühlgerät zur Verfügung, um diesen Effekt in der Realität zu testen. In der Simulation mit 48 Geräten ist erkennbar, wie die Geräte ihre Betriebszeiten als „Energieschwarm“ sinnvoll verschieben, ohne dass ein destabilisierender „Gleichzeitigkeitseffekt“ auftritt. Die Leistungsbilanz am Netzanschluss wird gleichmäßiger. Auf das Zuschalten des BHKW (rote Markierungen) reagieren die Kühlgeräte mit maximaler Leistungsaufnahme in Summe und dämpfen so den Leistungssprung im Netz.
Abbildung 9: Reaktion von Kühl- und Gefriergeräten auf das Preissignal.
Mitarbeiter des Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen haben die Netzstabilisierung durch die Kühlgeräte für SoLAR quantitativ untersucht und visualisiert (Abbildung 10): Die kurzfristige Abweichung der Leistung von einem gleitenden Mittelwert wird um etwa 10% verringert. Laut Auskunft von BSH wären allein in Deutschland 2,4 GW Regelleistung durch Kühlgeräte verfügbar – die gesamte Primärregelleistung für das europäische Verbundnetz beträgt 3 GW. Somit könnten die Kühlgeräte durch intelligente Sektorkopplung einen wertvollen Beitrag zur Primärregelenergie leisten. Siehe auch [6].
Abbildung 10: Glättung des Lastprofils durch die intelligente Steuerung der Kühlgeräte
Die Steuerung von zeitlich flexiblen Geräten ohne Pufferspeicher, wie Elektroladestationen, Geschirrspüler, Waschmaschinen und Trockner, wird aktuell in der Simulation vorbereitet, genauso wie die Umsetzung der Ansteuerung der Geräte in der realen Liegenschaft. Abbildung 11 zeigt dazu das Steuerkonzept.
Der Balance Indicator wird zentral am Netzanschluss der Kundenanlage ermittelt und von dort direkt an die Steuerungen für das BHKW, der Ladepunkte für Elektrofahrzeuge und der Haushaltsgeräte in den Mehrfamilienhäusern übermittelt. In den Doppelhaushälften wird das zentrale Preissignal mit einem individuellen Balance Indicator für das jeweilige Haus geeignet zusammengefasst, um die Eigenversorgung der Doppelhaushälften mit privatem PV-Strom zu maximieren, und dann an die Steuerungen für Wärmepumpe und Haushaltsgeräte übermittelt.
Abbildung 11: Implementation des Steuersystems in der Demo-Liegenschaft
Die reale Ausgestaltung der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) im Projekt durch das ISC Konstanz zeigt Abbildung 12. Zur Bildung der Preissignale (Balance Indicator, BI) und zur Steuerung der Geräte (Markierung „C“ = Controller) werden Kunbus RevPi Microcontroller eingesetzt, die über ein lokales Ethernet miteinander verbunden sind und die Netzzustandsdaten an wichtigen Netzknoten aus den Smart Meter Gateways (SMGW) auslesen. Die Kommunikation zur Steuerung des BHKW und der Wärmepumpen erfolgt mit Modbus RTU über jeweils eine serielle Schnittstelle. Ladepunkte für Elektrofahrzeuge werden über Ethernet angesprochen. Die Kommunikation mit den steuerbaren Haushaltsgeräten erfolgt über die zentralen Server von HomeConnect (BSH) bzw. Miele@home (Miele) über das Internet. Die Hausgeräte sind dabei über WLAN ans Internet angebunden, die Microcontroller direkt über Kabel.
Abbildung 12: Ausgestaltung der IKT zur Gerätesteuerung in SoLAR
Das Demonstrations-System braucht noch zusätzliche Controller, eine aufwändige Verkabelung und die Implementation unterschiedlicher Schnittstellen. Die Anbindung der Hausgeräte über die zentralen Server kann durch Störungen im Internet unterbrochen sein und ist in der Zugriffsrate begrenzt, so dass insbesondere bei den Kühlgeräten Kompromisse bei der Steuerung eingegangen werden müssen.
Abbildung 13 zeigt am Beispiel der SoLAR-Liegenschaft, wie ein zukünftiges IKT-System aussehen könnte.
Abbildung 13: Szenario für ein zukünftiges IKT-System für intelligente Sektorkopplung
Die Preissignale werden direkt in den Smart Metern gebildet (BI) und über sie kommuniziert. Als Kommunikationsweg für die Preissignale wird Power Line Communication (PLC) gewählt. Die notwendige Senderate von etwa 1 Byte/sec kann dadurch kostengünstig und störungssicher, ohne die Notwendigkeit der Verlegung von zusätzlichen Kabeln und der Implementation unterschiedlicher Schnittstellen, realisiert werden. In den Geräten sind einfache PLC-Empfänger installiert, die das Preissignal an die geräteeignen Steuerungen (C) übergeben, wo sie in Steuerbefehle umgesetzt werden. Internet Server werden nur noch für Komfort-Funktionen verwendet. Die möglicherweise notwendige Abregelung der PV-Anlagen kann über das gleiche System realisiert werden. Eine Einbindung der Geräte über lokale Energiemanagement-Systeme (EMS) ist ebenfalls möglich.
Fazit
Die Entwicklung und Umsetzung der intelligenten Sektorkopplung im Virtuellen Demonstrator und in der realen Liegenschaft im Demonstrationsprojekt SoLAR beweisen, dass eine klimaneutrale Energieversorgung mit 100% erneuerbaren Energien möglich ist. Das verbleibende Hauptproblem der Energiewende, dass die volatile Energieerzeugung aus Sonne und Wind nicht dem Lastprofil der Verbraucher folgen kann, wird durch die maximale Nutzung der Flexibilität im zeitlichen Betrieb insbesondere der Stromverbraucher, aber auch flexibler BHKW, gelöst. Die Einbindung saisonaler Speicherung durch Wasserstoffelektrolyse in die intelligente Sektorkopplung ist im Weiteren zu untersuchen.
Durch Integration der notwendigen IKT direkt in die Hardware von Smart Metern und Gerätesteuerungen können die Kosten zur Umsetzung zukünftig minimiert werden, so dass Flexibilität zu sehr geringen Kosten verfügbar gemacht wird. Gleichzeitig maximiert das System die Resilienz des Stromsystems im Rahmen eines zellulären Ansatzes [7] und bietet maximale Sicherheit vor Cyberangriffen und maximalen Datenschutz.
Abbildung 14: Netzsystemdienstleistungen durch intelligente Sektorkopplung
Durch direkte Nutzung der Frequenz (f) zur Preisbildung und durch Bildung und Übermittlung von Preissignalen per PLC aus Spannung (U), Strombelastung (I) oder Leistungsbilanzen über das Stromnetz kann ein „Plug-and-Play“ System realisiert werden. Zentrale Größen der Netzbetreiber (!) können über Ortsnetzstationen, die an die Leitzentralen angebunden sind, per PLC an die Netzanschlüsse übermittelt werden. Siehe Abbildung 14.
In einer nächsten Demonstrationsstufe will das Stadtwerk Haßfurt, assoziierter Partner von SoLAR, die Technologie aus SoLAR nutzen, um den Eigenverbrauch erneuerbarer Energien in einem ganzen Verteilnetz zu maximieren. Zusammen mit verschiedenen Akteuren der kommunalen Energiebranche sollen dabei Vorschläge gemacht werden, wie das heutige Tarifsystem weiterentwickelt und zukunftssicher gemacht werden kann.
Literaturverzeichnis
[1] Smart Grid-Plattform BW. (2021, April 19). Ich bin Zukunft – Allensbach [Online]. Available: https://www.ich-bin-zukunft.de/regionen/allensbach/.
[2] T. Walter, „Verfahren zum Regeln des Verhältnisses zwischen eingespeister und entnommener elektrischer Energie in einem elektrischen Energieversorgungsnetz“, Europäisches Patent EP 2 875 560 B1, Juli 19, 2012.
[3] R. Stamminger, Synergy Potential of Smart Domestic Appliances in Renewable Energy Systems. Bonn: Shaker Verlag, 2009.
[4] V. Quaschning, Sektorkopplung durch die Energiewende. Anforderungen an den Ausbau erneuerbarer Energien zum Erreichen der Pariser Klimaschutzziele unter Berücksichtigung der Sektorkopplung. Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, 2016.
[5] Kaufmann Bau. (2021, April 19). „Wohnen in Allensbach“. [Online]. Available: https://www.wohnen-allensbach.de/.
[6] E. Kremers et al., „Emergent synchronisation properties of a refrigerator demand side management system“, Applied Energy, vol. 101, pp. 709 – 717, 2013.
[7] VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V., Zellulares Energiesystem. Ein Beitrag zur Konkretisierung des zellularen Ansatzes mit Handlungsempfehlungen. Frankfurt am Main: Energietechnische Gesellschaft (ETG), 2019.
Der Autor
Stefan Werner
Easy Smart Grid GmbH
Solution Manager, Easy Smart Grid GmbH, Karlsruhe
Projektkoordinator „SoLAR“ im Auftrag des ISC Konstanz
Sprecher Arbeitskreis „Energie, Ressourcen, Klimaschutz“, Lokale Agenda 21, Allensbach